Eltern wissen: Die Art, wie wir unsere Kinder erziehen, formt sie fürs Leben. Und das macht uns manchmal ganz schön Angst. Denn was heute als liebevolle Unterstützung gedacht ist, kann morgen zum Hindernis werden. Der klinische Psychologe Ramón Schlemmbach erklärt, dass bestimmte Erziehungsmuster Kinder zu Erwachsenen machen können, die mit Alltags-Herausforderungen kämpfen. Und das wollen wir natürlich nicht für unser Kind.
Wenn Eltern ihren Kindern aus Liebe ständig alle Aufgaben abnehmen, kann das langfristige Folgen haben. Kinder brauchen die Möglichkeit, eigene Erfahrungen zu sammeln und auch mal zu scheitern. Der klinische Psychologe Ramón Schlemmbach, der auch auf Social Media als Coach tätig ist und fast 300.000 Follower*innen auf TikTok hat, erklärt im Interview mit BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA: „Alles, was Eltern mit ihren Kindern machen, wird für die Kinder zu ihrer Normalität."
Wie Kindheitserfahrungen das Erwachsenenleben prägen
Erziehungsmuster | Mögliche Auswirkung im Erwachsenenalter |
Alles abnehmen ("Ach Schatzi, ich mache das für dich") | Unselbstständigkeit |
Keine klaren Deadlines setzen | Prokrastination, schwache Selbstdisziplin |
Übermäßige Kritik ("Du kannst nichts richtig machen") | Geringes Selbstwertgefühl |
Schuldzuweisungen ("Deinetwegen streiten Mama und Papa") | Negative Selbstwahrnehmung |
Überbehütung ("Lass mal, du bist noch zu klein") | Mangelnde Selbstwirksamkeit |
Der untrainierte "Disziplin-Muskel" – warum manche Erwachsene aufschieben
Wirklich spannend fanden wir (ja, wir fühlten uns ertappt), dass laut Schlemmbach Prokrastination, also das bewusste Aufschieben von Tätigkeiten, auf die Kindheit zurückgeführt werde kann: „Wenn Eltern ihrem Kind nie klare Deadlines für Hausaufgaben oder Zimmer aufräumen setzen, dann wird der 'Disziplin-Muskel' nie trainiert. Und das führt dazu, dass es als Erwachsener schwerfällt, Dinge anzupacken."
Der Psychologe weist aber auch darauf hin, dass manchmal hinter Prokrastination, nicht immer Faulheit oder Unlust steckt, sondern manchmal auch die Angst zu scheitern. Besonders, wenn Eltern ihren Kindern durch zu viel Kritik oder einen unerfüllbaren Leistungsanspruch überfordern.
Perfektionismus als Bewältigungsstrategie aus der Kindheit
„Perfektionismus ist kein Persönlichkeitsmerkmal, sondern eine Bewältigungsstrategie", erklärt Schlemmbach. „Menschen geben 150 Prozent, weil sie Angst haben, nicht gut genug zu sein. Es ist ein Schutzmechanismus, um Anerkennung zu bekommen."
Damit einher geht das sogenannte "Overthinking", ein Phänomen, bei dem die Psyche versucht, durch ständiges Nachdenken und Analysieren alle möglichen Eventualitäten abzusichern, um potenzielle Fehler zu vermeiden. Dahinter verbirgt sich oft eine grundlegende negative Selbstwahrnehmung und das Gefühl, nicht in Ordnung zu sein, wie man ist. Diese destruktiven Glaubenssätze entstehen häufig bereits in der Kindheit und können das Verhalten bis ins Erwachsenenalter maßgeblich beeinflussen.
Selbstwirksamkeit fördern – was Kinder wirklich brauchen
Kinder brauchen die Möglichkeit, die eigenen Fähigkeiten zu testen und auch mal Fehler zu machen. Nur so lernt es Selbstwirksamkeit und entwickeln die Überzeugung, dass sie selbstständig Dinge lernen/schaffen können. Natürlich sollt ihr eure Kids nicht absichtlich in die Steckdose fassen lassen oder kleine Kinder ohne Aufsicht auf die Spitze des hohen Klettergerüsts steigen lassen. Es tut unseren Kindern jedoch gut, ihnen Dinge zuzutrauen – auch welche, die (bisher) noch nicht in ihren Fertigkeiten lagen. Wenn sie es dann doch schaffen, sind sie umso stolzer und lernen: "Es war schwer, aber ich habe es geschafft. Anstrengen lohnt sich!"
Die Balance finden – kein Elternteil ist perfekt
„Elternsein ist eine große Verantwortung", sagt Schlemmbach im Gespräch mit BuzzFeed News Deutschland. „Aber ich möchte keine Angst verbreiten. Keiner von uns kann alles richtig machen. Ich weiß, dass ich, obwohl ich Psychologe bin und mich mit Kindheitsprägungen beschäftige, irgendwann mal ein 22- oder 25-jähriges Kind haben werde, das zu mir sagt: 'Papa, das und das war nicht in Ordnung.'"
Beim Thema Erziehungsfehler machen ist eine gewisse Gelassenheit angebracht. Auch wenn Erziehung auf fundierten psychologischen Erkenntnissen basieren kann, zeigt sich der wahre Erfolg unserer elterlichen Bemühungen erst, wenn unsere Kinder erwachsen sind. Erst dann wird wirklich sichtbar, wie sich unsere Erziehung auf ihre Entwicklung und ihr Wohlbefinden ausgewirkt hat.
Kinder brauchen Raum für eigene Erfahrungen
Die Erziehung unserer Kinder hat tiefgreifende Auswirkungen auf ihr späteres Leben als Erwachsene. Indem wir ihnen Raum geben, eigene Erfahrungen zu sammeln, Fehler zu machen und daraus zu lernen, legen wir den Grundstein für selbstbewusste, handlungsfähige Persönlichkeiten. Wir sind alle keine perfekten Eltern (und wenn wir das wären, wäre es vermutlich auch irgendwie schädlich für unsere Kinder), aber ein Bewusstsein für die langfristigen Auswirkungen unserer Erziehung kann uns helfen, unsere Kinder besser auf ein selbstständiges Leben vorzubereiten.
Wie seht ihr das? Legt ihr schon jeden Monat Geld für die Therapiesitzung eurer Kinder zurück, um sie damit zu ihrem 18. Geburtstag zu überraschen? Oder seid ihr der Meinung, das wird schon, hat bei mir und meinen Eltern ja auch geklappt? Ich freue mich über eure Erfahrungen per Mail.